PFA bei Gericht: ein Interview mit Tilman Kootz
Das Thema „PFA bei Gericht“ stößt auf große Resonanz. Nach meinem letzten Post zu dem Thema wollte ich mehr darüber erfahren, wie das Frankfurter Pilotprojekt zustande gekommen ist und was für seine Zukunft angedacht ist. Dafür habe ich mich an meinen Kollegen Tilman Kootz gewandt, Frankfurter Konferenz- und Gerichtsdolmetscher für Englisch und einen der Referenten für das Gerichtsdolmetschen des BDÜ-Landesverbandes Hessen. Tilman war so freundlich, mir einige Einblicke in das Projekt zu gewähren.
– Erzähle mir gerne etwas mehr zu dem Pilotprojekt des PFA-Verleihs bei den Frankfurter Gerichten!
– Das Projekt ist Mitte März entstanden, als die Corona-Pandemie endgültig auch Deutschland erreicht hatte und Abstandsregeln verordnet wurden. Für die bei Gericht tätigen Dolmetscher*innen ergab sich so eine schwierige Situation: Einerseits wollten sie den Ladungen Folge leisten, nicht zuletzt um in der wirtschaftlich angespannten Zeit mit vielen aufgehobenen Terminen keine weiteren Einnahmenverluste zu erleiden. Andererseits fürchteten sie um ihre Gesundheit, denn beim Gerichtsdolmetschen sitzt man nun mal in aller Regel direkt neben der zu bedolmetschenden Person und flüstert dieser zu.
Natürlich kommt einem sofort das Konsekutivdolmetschen als vergleichsweise sichere Alternative in den Sinn, weil man dabei theoretisch auch 1,5 Meter Abstand halten kann. Aber das zeitsparende Simultandolmetschen hat sich bei Gericht über die Jahre fest etabliert und gerade bei mehrstündigen Verhandlungen, etwa am Landgericht, ist eine gute konsekutive Verdolmetschung aus meiner Sicht nicht zu leisten. Aus dieser Notlage heraus haben sich mehrere Kolleg*innen an den BDÜ Hessen gewandt, genauer gesagt an meinen Co-Referenten für das Gerichtsdolmetschen. Dieser hat den Ernst der Lage sofort erkannt, wusste aber spontan auch nicht weiter. Er hat sich dann mit unserer 2. Vorsitzenden, die für das Ressort Gerichtsdolmetschen zuständig ist, und mir als seinem Co-Referenten beraten. Gemeinsam haben wir die „Initiative zur Einführung von Personenführungsanlagen bei Gericht“ ins Leben gerufen.
Unser erster Schritt war ein Schreiben an den Frankfurter Landgerichtspräsidenten, in dem wir auf die Situation der Gerichtsdolmetscher*innen in Zeiten der Corona-Pandemie aufmerksam gemacht haben, verbunden mit einem Lösungsvorschlag: Unsere Idee war, dass sich das Gericht bei einem der Frankfurter Museen, die ja Corona-bedingt schließen mussten, eine PFA ausleihen könnte, um den PFA-Einsatz zu testen. Denn mit einer PFA könnte man wie gewohnt simultan dolmetschen, aber eben mit ausreichend Abstand. Zum Glück war das Landgericht sehr offen für unseren Vorschlag und hat schnell ein Museum gefunden, das seine PFA bereitgestellt hat. Keine zwei Wochen später, Anfang April, wurde dann am Amtsgericht zum ersten Mal mit PFA gedolmetscht.
– Was war zu Beginn Eure wichtigste Zielsetzung? Hat sie sich im Verlauf des Projektes geändert?
Unser Ziel war es zunächst, die Gerichte in Frankfurt von den Vorteilen der PFA im Hinblick auf den Infektionsschutz zu überzeugen, denn es waren Kolleg*innen aus Frankfurt, die sich an uns gewandt hatten, und der BDÜ Hessen hat einen guten Draht zu den dortigen Gerichten. Nachdem sich die Abläufe für die Reservierung, Ausleihe und Rückgabe dann weiter eingespielt hatten und sowohl Dolmetscher*innen als auch Richter*innen den PFA-Einsatz befürworteten, haben wir „eine Nummer größer“ gedacht und ein Rundschreiben an alle beeidigten und ermächtigten Mitglieder des BDÜ Hessen geschickt. Darin haben wir vom Erfolg der Initiative in Frankfurt berichtet und angeregt, den Gerichten, von denen die Mitglieder möglicherweise geladen werden, diese Lösung ebenfalls vorzuschlagen.
Denn eins ist im Austausch mit den Gerichten deutlich geworden: Bevor eine PFA angeschafft wird, muss die Nachfrage nachgewiesen sein. Wir haben den Hinweis, dass an den Frankfurter Gerichten eine PFA zur Verfügung steht, auch deshalb möglichst breit gestreut und auch unter Nicht-BDÜ-Mitgliedern verbreitet, die die Anlage selbstverständlich genauso nutzen können.
– Welche Gerichte sind in das Pilotprojekt involviert?
Unser erster Ansprechpartner ist das Frankfurter Landgericht, das sich aber in dieser Sache mit dem Oberlandesgericht und dem Amtsgericht abstimmt. In Frankfurt sind diese Gerichte dicht beieinander angesiedelt, was von großem Vorteil ist. Denn so können sie sich eine PFA teilen und es braucht nur einen zentralen Ort für Abholung und Rückgabe.
-Wie ist die bisherige Resonanz seitens der Gerichte und der Dolmetscher*innen? Seid Ihr mit ihr zufrieden?
–Zu unserer großen Freude und Erleichterung waren die Gerichte von Beginn an aufgeschlossen und an der Dolmetscherperspektive interessiert. Wir sind den Frankfurter Gerichten sehr dankbar, dass sie sich auf dieses Experiment eingelassen und sofort um eine PFA gekümmert haben. Anfangs war die Arbeit mit PFA für beide Seiten etwas ungewohnt, aber das hat sich schnell geändert.
Aufseiten des Gerichts gab es zudem Bedenken bezüglich der Abhörsicherheit, doch zum Glück hat sich herausgestellt, dass manche Systeme durchaus höchsten Sicherheitsstandards genügen. Die allermeisten Dolmetscher*innen waren ebenfalls überzeugt von der Lösung, auch wenn sich in dieser Testphase die Abläufe noch einspielen mussten. So haben wir etwa gemeinsam mit dem Gericht ein Reservierungsformular erarbeitet und es wurde geklärt, wie die Geräte desinfiziert werden.
Einige Kolleg*innen haben Unmut über den Zeitaufwand in Verbindung mit der Abholung und Rückgabe der Geräte geäußert, denn in der Tat kann dies einen Umweg von bis zu 40 Minuten bedeuten. Aber viele Richter*innen sind bereit, den Mehraufwand zu vermerken, sodass man diesen bezahlt bekommt.
– Wie geht es weiter? Gibt es Pläne, das Projekt auf weitere hessische Gerichte oder andere Institutionen auszuweiten?
– Zunächst sind wir optimistisch, dass sich die Frankfurter Gerichte nach dieser erfolgreichen Erprobung eine eigene Anlage anschaffen werden. Das wäre wichtig, denn in absehbarer Zeit wird das Museum, dem die aktuell genutzte Anlage gehört, wieder Führungen anbieten dürfen und die Anlage deshalb zurückhaben wollen. Die Abstandsregeln werden jedoch wohl noch eine Weile gelten und leider besteht ja auch immer die Möglichkeit einer zweiten Welle. Und ganz unabhängig von Corona kann es immer Situationen geben, in denen man sich als Dolmetscher*in mit etwas mehr Abstand zur bedolmetschten Person wohler fühlt und lieber mit PFA arbeitet.
Die Initiative ist nicht auf Frankfurt beschränkt, aber um auch andere Gerichtsstandorte von der PFA zu überzeugen, braucht es Kolleg*innen vor Ort, die nach dieser Lösung fragen, sobald sie geladen werden. Wir haben übrigens in einem weiteren Schreiben der hessischen Justizministerin die schwierige Situation der Gerichtsdolmetscher*innen in Corona-Zeiten beschrieben und sie gebeten, den PFA-Einsatz an hessischen Gerichten zu empfehlen und nach Möglichkeit auch finanziell zu unterstützen. Eine Antwort haben wir noch nicht bekommen, aber wer weiß, vielleicht gab es hinter den Kulissen ja bereits Unterstützung von „höchster Stelle“!
– Ich drücke Euch die Daumen! Vielen Dank für diese tolle Initiative und dafür, dass Du Dir Zeit für meine Fragen genommen hast.