Gerichtsdolmetschen in Corona-Zeiten: Ein Erfahrungsbericht

Gerichtsdolmetschen in Corona-Zeiten: Ein Erfahrungsbericht

PFA-Geräte für das Dolmetschen bei Gericht: besonders wichtig während Corona

Der Siegeszug des Remote-Dolmetschens hält an. Bei immer mehr Konferenzen finden sich die Dolmetschteams in einem Hub zusammen, um auf Entfernung Sitzungen zu dolmetschen, deren Teilnehmer sich einzeln aus ihren Büros zuschalten. Sicher wird für die absehbare Zeit ein Großteil der Konferenzdolmetscheinsätze in Deutschland so aussehen (eine Handreichung zu diesem Thema werde ich in den kommenden Wochen auf dieser Webseite verfügbar machen).

Anders sieht die Lage in der Justiz aus. Dabei sind dort viel mehr Dolmetscher*innen tätig als im Konferenzbereich. Die Datenbank der Justizdolmetscher und Übersetzer listet bundesweit über 12600 Dolmetscher*innen (im Vergleich: der VKD im BDÜ e.V. hat über 700 Mitglieder). Diese arbeiten nicht nur in den herkömmlichen internationalen Konferenzsprachen, sondern auch in den Sprachen des globalen Südens, den sogenannten „kleinen“ Sprachen oder Dialekten. Nicht überraschend in einem internationalen Land wie Deutschland: der Artikel 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes sichert jedem/jeder Prozessbeteligten, der/die des Deutschen nicht hinreichend mächtig ist, das Recht auf einen Dolmetscher. In der Justiz arbeiten beeidigte oder ermächtigte Dolmetscher*innen außerdem u.a. für die Polizei, bei Mandantengesprächen von Rechtsanwält*innen oder bei Gefangenenbesuchsterminen in JVAs.

Dolmetschen bei Gerichten: schwierige Arbeit unter einfachen Bedingungen

Das deutsche Justizsystem wäre also ohne Dolmetscher*innen kaum funktionsfähig. Allerdings lief bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie der Großteil der Dolmetscheinsätze bei Gericht ganz analog, man könnte fast sagen: archaisch. Die Dolmetscher*innen saßen neben den Angeklagten oder Zeugen und flüsterten ihnen das Gesprochene in Echtzeit zu. Diese Einsatzform, quasi Simultandolmetschen ohne jegliche technische Ausstattung, eignet sich nur kurze Einsatzzeiten und wenige Zuhörer. Trotzdem ist sie belastend für die Stimme und erfordert höchste Konzentration, denn die Dolmetscherin kann die Lautstärke des Inputs nicht regeln und muss mit dem oft halsbrecherischen Tempo beim Vorlesen von Gerichtsakten mitkommen, ohne Redundanzen auslassen oder den Sinn der Aussagen zusammenfassen zu dürfen. Auch stören sich andere Prozessbeteiligte manchmal an dem hörbaren Flüstern.  Nur in außergewöhnlichen Situationen, wie beispielsweise bei einem längeren Prozess bei einem Oberlandesgericht, kann es vorkommen, dass die Dolmetscher*innen wie auf dem freien Markt üblich zu zweit in einer schalldichten Kabine sitzen und simultan arbeiten.

Corona: ein ungewollter Modernisierungsimpuls für das Gerichtsdolmetschen

Während man bis jetzt über die Nachteile des Flüsterdolmetschens bei kurzen Gerichtseinsätzen –aus Gewohnheit oder mangels Alternativen – hinwegsehen konnte, hat es die Corona-Krise unmöglich gemacht. Beim Flüsterdolmetschen kann kein Mindestabstand eingehalten werden. Sitzt die Dolmetscherin eine Stunde lang Kopf an Kopf mit dem/der Angeklagten, steht einer potenziellen Infektion nichts im Wege. Daher haben sich die Berufsverbände gleich seit Beginn der Pandemie dafür stark gemacht, Gerichtsdolmetscher*innen die Arbeit mit Personenführungsanlagen (PFAs) zu ermöglichen. Während diese bei traditioneller Simultanarbeit nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine Kabine nicht aufgebaut werden kann, sind sie in einer Gerichtssituation ein spürbarer Fortschritt.

Die gemeinsame Handreichung der Mitgliedsverbände des BDÜ e.V. – an der auch der VKD mitgearbeitet hat – greift eine Reihe an wichtigen Punkten auf. Z.B. betont sie, dass alle Zuhörer ihre eigenen Empfänger haben sollen, die Sicht der Dolmetscherin auf alle beteiligten Personen frei sein soll, Pausen eingehalten und die Geräte nach jeder Benutzung desinfiziert werden sollen. Der Landesverband Hessen des BDÜ hat bereits im April die Initiative ergriffen und ein Pilotprojekt mit den Frankfurter Gerichten gestartet. So wurden die Gerichte auf die Problematik sensibilisiert, beraten und es wurde ihnen ermöglicht, Personenführungsanlagen zuerst von (wegen Corona geschlossenen) Frankfurter Museen auszuleihen, bevor sie über den Kauf einer eigenen Anlage nachdenken.

Und wie sieht es in der Praxis aus?

Auch ich hatte bereits einmal die Gelegenheit, beim Amtsgericht Frankfurt mit PFA zu dolmetschen. Dafür musste ich zuerst die Einsatzstelle des Gerichts anschreiben und ein Bestellformular für die Anlage ausfüllen. Am Einsatztag selbst war ich eine halbe Stunde früher als üblich vor Ort, um die PFA in Ruhe abholen zu können. An der Einsatzstelle wurden die Geräte für mich sogar eingestellt, sodass tatsächlich nichts mehr übrigblieb, als dem Kunden die (sehr unkomplizierte) Benutzung des Empfangsgeräts zu erklären und loszudolmetschen.

Mein polnischsprachiger Kunde nahm die Möglichkeit nach anfänglichen Bedenken gerne an und war mit der Tonqualität und Lautstärke sehr zufrieden. Ganz bemerkenswert fand ich dafür die Reaktionen der übrigen Prozessbeteiligten: der Richter, der Verteidiger und die Staatsanwältin wurden auf die ihnen unbekannten Geräte sofort aufmerksam und stellten viele interessierte Fragen zu deren Funktionsweise. Sie schienen das Dolmetschen mit PFA für schwieriger als das herkömmliche Flüsterdolmetschen zu halten – am Ende bemerkte der Richter sogar anerkennend, wie gut ich mit dem Gerät gearbeitet habe. Dabei ist es für trainierte Dolmetscher genau umgekehrt, die PFA stellt eine große Entlastung dar.

Nur einen Tag nach diesem Einsatz bekam ich einen Anruf vom Landgericht. Die Geschäftsstellenmitarbeiterin, die meine Verfügbarkeit für einen kommenden Einsatz erfahren wolle, fing mit der Frage an, ob ich mich denn mit der „Übersetzungsmachine“ auskenne. Auch wenn diese „Maschine“ nicht annähernd so groß und respekteinflößend ist, wie einige Justizmitarbeiter es anzunehmen scheinen, so ist sie doch ein sehr willkommener Beitrag, nicht nur zum Infektionsschutz, sondern auch zur Modernisierung und Professionalisierung des Gerichtsdolmetschens.

P.S: Es gibt immer Luft nach oben

Übrigens: Neuerdings habe ich auch zum ersten Mal seit dem Corona-Ausbruch bei einem Mandantentermin in der Untersuchungshaft gedolmetscht. Dort greift man auf einfachere Methoden zurück: mir wurde zwar nett, aber sehr deutlich erklärt, dass in dem Moment, in dem ich meine Gesichtsmaske abnehme, der Termin beendet werden müsse. Eine Stunde Dolmetschen mit Maske bedeutet ständige Nachfragen der Zuhörer, die die Verdolmetschung zum Teil akustisch nicht verstehen können, und einen heiseren Hals für den Rest des Tages. Während ich verstehe, dass sich in einem kleinen Gesprächsraum Aerosole anreichern und daher alle Gesprächspartner vor einer Ansteckung mit Corona geschützt werden müssen, hoffe ich, dass in einem zweiten Schritt vielleicht auch die JVAs die Erfahrung der Gerichte nutzen können und z.B. mithilfe von PFAs in Verbindung mit größeren Räumen eine bessere Lösung für alle Beteiligten schaffen.

 

Magda Dziabala

Konferenzdolmetscherin für Polnisch, Deutsch und Englisch. Mit viel Wissensdurst, einem Hang zum Perfektionismus und einer Freude daran, sich an immer neuen Orten immer neuen fachlichen und sprachlichen Herausforderungen zu stellen.

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