Remote Simultaneous Interpreting: Chancen und Herausforderungen

Remote Simultaneous Interpreting: Chancen und Herausforderungen

Remote Simultaneous Interpreting (RSI) ist unter Dolmetschern Trendthema und Zankapfel zugleich. Die Berufsverbände verfolgen seine Entwicklung sehr aufmerksam. Die deutsche Region des internationalen Dolmetscherverbandes AIIC sowie der Verband der Konferenzdolmetscher im BDÜ e.V. (VKD) haben ihre Erkenntnisse in einem zweitägigen Seminar gebündelt, das in der ersten Jahreshälfte 2019 unter der Leitung von Klaus Ziegler, AIIC-Referent für Remote Interpreting, an insgesamt 4 Terminen in Hamburg stattfand.

Ich nahm am 13. und 14. April 2019 am Seminar teil, zusammen mit 16 anderen KollegInnen.  Zunächst lernten wir in einem theoretischen Teil verschiedene Aspekte des RSI genauer kennen. Dazu gehörten rein technische Fragen und davon ausgehend die Fragen des Datenschutzes und der Arbeitshygiene; Überlegungen im Zusammenhang mit neuen Arbeitsmodellen und schließlich eine Vorstellung verschiedener Anbieter. Danach konnten wir im Praxistest auch selbst einen Anbieter einer appbasierten RSI-Lösung testen. Schließlich gab es noch viel Zeit für eine Gruppendiskussion – zum Beispiel darüber, wie man RSI in die Ausbildung angehender DolmetscherInnen aufnehmen könnte.

Alle Ergebnisse des Seminars kann und möchte ich hier nicht vorstellen. Ich werde auf diejenigen wenigen Punkte eingehen, die ich persönlich für besonders wichtig oder anschaulich halte.

1. Was ist RI und welche Formen gibt es?

Verschiedene Formen des Dolmetschens, bei dem die Dolmetscher räumlich von den Rednern getrennt sind, sind schon länger auf dem Markt bekannt – wohl jede/r Dolmetscher/in hat schon aus einer Kabine gearbeitet, die nicht direkt im Veranstaltungsraum stand, und in die das Bild per Video übertragen wurde.  So beschwerlich solche Einsätze manchmal sein können, sind sie trotzdem kein echtes RI. Das „wahre” Remote Interpreting (RI) wird in der ISO-Norm 20108 definiert, und zwar als „interpreting of a speaker in a different location from that of the interpreter, enabled by information and communications technology”. Es kommt beim RI oder RSI also nicht nur auf die räumliche Trennung des Redners und der Dolmetscher an, sondern auch darauf, dass Informationstechnologien zum Einsatz kommen – das gesprochene Wort, die Videoaufnahmen des laufenden Geschehens und eventuell weiteres Videomaterial des Kunden werden verschlüsselt über ein internes Serversystem oder eine Cloud-basierte Lösung an die Dolmetscher weitergeleitet. Auf dem gleichen Weg gelangt die Verdolmetschung zu den Zuhörern.

  • Appbasierte Lösungen

In den letzten Jahren haben einige RSI-Anbieter eine intensive Marktpräsenz gezeigt. Sie werben mit appbasierten Lösungen, die meist die Daten in einer Cloud speichern und daher sehr mobil sind. Die Teilnehmer sollen gemäß dem Grundsatz „Bring your own device“ die Verdolmetschung direkt über ihre eigenen Handys, nicht über die herkömmlichen Infrarot-Empfänger hören. Die Dolmetscher müssen, so die Idee, nicht mehr vor Ort sein und sich zu zweit Kabinen teilen, sondern können zugespitzt ausgedrückt „vom eigenen Küchentisch aus“ arbeiten. Das spare Zeit und Geld.

Diese Lösung bietet tatsächlich eine große Flexibilität und könnte künftig auch dazu führen, dass der Bedarf nach Dolmetschleistungen steigt, da Veranstaltungen gedolmetscht werden können, bei denen in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen darauf verzichtet wurde. Allerdings stoßen diese Lösungen auch auf viel Kritik, besonders im Hinblick auf die Datensicherheit und die Arbeitsbedingungen, die sie professionellen Dolmetschern anbieten. Dazu mehr im Punkt 2.

  • Hub-basierte Lösungen

Eine neuere, aber von vielen Dolmetschern gerne entgegengenommene Alternative sind Remote Interpreting Hubs. Diese bieten den Dolmetschern die gewohnte Kabinenumgebung, gerne sogar in einer weitaus höheren Qualität, und die fachkündige Betreuung eines Technikers.

Für die Kunden viel wichtiger ist aber ein weniger augenscheinlicher Aspekt: die Datensicherheit. Der erste kommerzielle Hub in Deutschland der Firma Neumann& Müller überträgt die Daten beispielsweise über einen VPN-Kanal und europäische Server. So soll sichergestellt werden, dass Daten und Informationen ausschließlich an den für sie bestimmten Empfängerkreis gelangen – genau wie bei herkömmlichen Simultandolmetschen in einer vertraulichen Situation.

So viele Vorteile Hubs haben, bringen sie aber zwangsweise Einbußen bei Flexibilität mit sich – die Dolmetscher müssen zwar nicht an den Veranstaltungsort, aber dafür zum Hub einreisen, die Kabinen müssen gemietet und die technische Infrastruktur beim Kunden aufgebaut werden. Diese Lösung eignet sich wunderbar für größere oder prestigeträchtige Events. Wer eine halbstündige nichtvertrauliche Besprechung organisiert, ist mit ganz herkömmlichem Simultandolmetschen wahrscheinlich besser beraten.

 

2. Die Technik und wie sie alles andere beeinflusst

Beim Seminar haben wir den technischen Anforderungen an das RSI viel Zeit gewidmet. Grundsätzlich kann man sie gut auf zwei Punkte zusammenfassen:

  • Datenschutz

Die Verlässlichkeit der Internet-Verbindung und der Datenschutz spielen eine zentrale Rolle und gehen gleichzeitig oft Hand in Hand. Professionelle Simultandolmetscher arbeiten immer unter höchster Vertraulichkeit. Sie behalten alles bei einem Einsatz Gesagte für sich. Indem vor Ort außerdem die klassische in sich geschlossene Dolmetschtechnik verwendet wird und das Gesagte weder extern (in der Cloud, auf dem Server) verarbeitet noch zwischengespeichert wird, wird das Risiko ausgeschlossen, dass vertrauliche Informationen nach außen gelangen. Bei RSI besteht dieses Risiko je nach gewählter Form gleich zweimal: zum einen im Fall einer mangelnden Verschlüsselung bei der Datenübertragung oder der Zwischenspeicherung außerhalb Europas. Zum anderen ganz prosaisch bei Verwendung von Mobiltelefonen als Empfänger. Wird den Zuhörern die Verdolmetschung über ihre Smartphones zur Verfügung gestellt, geben die Redner und die Dolmetscher die Kontrolle über ihr Gesagtes faktisch aus der Hand. Die Verdolmetschung kann immer unbemerkt mitgeschnitten und verbreitet werden. Im schlimmsten Fall können Haftungsfragen entstehen.

  • Arbeitsschutz und dadurch Qualität

Einige für Außenstehende triviale Aspekte haben für die Qualität der Dolmetscharbeit eine grundlegende Bedeutung. Kopfhörer mit ausreichenden Frequenzen, um die menschliche Sprache genau wiederzugeben; Gehörschutz, der vor akustischen Schocks schützt; eine fließende Mikrofonübergabe, die Unterbrechungen und Überlappungen des Gesagten verhindert; die laufende Unterstützung eines Technikers vor Ort – all diese Aspekte sind beim Simultandolmetschen mithilfe herkömmlicher Dolmetschtechnik gegeben. Bei RSI, vor allem mit appbasierten Lösungen, sind sie längst nicht alle Selbstverständlichkeit. Im „besten“ Fall bedeutet die Nichtbeachtung dieser und ähnlicher Aspekte eine stärkere Belastung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Dolmetscher. Im schlimmsten Fall kann die Qualität der Verdolmetschung und der Übertragung beeinflusst werden, bis hin zu einem Totalausfall der Verdolmetschung, wenn der Dolmetscher räumlich getrennt von seinem Kabinenpartner und ohne Unterstützung eines Technikers arbeiten soll und die Internetverbindung zusammenbricht. Auch hier sind die Haftungsfragen noch nicht ausreichend geklärt.

 

3. Fazit

Remote Simultaneous Interpreting bietet große Chancen, sowohl für Organisatoren von Veranstaltungen als auch für Dolmetscher. Durch neue Technologien wird es möglich, Veranstaltungen, die bisher nicht gedolmetscht wurden, mehrsprachig und somit für alle Teilnehmer gleich zugänglich zu gestalten. Appbasierte Lösungen bieten Flexibilität, zeigen aber einige inhärente Probleme im Bereich Datenschutz. Eine Arbeit mit einem Hub verlangt etwas mehr Vorbereitung und Beratung im Vorfeld, ist also weniger flexibel. Dafür bietet sie den Kunden und den Dolmetschern die gewohnte Qualität und einen hohen Datenschutz.

Für welche Lösung man sich entscheidet, hängt im Einzelfall sicher von einer ganzen Reihe von Faktoren ab: der Vertraulichkeit, der Dringlichkeit des Einsatzes, der Logistik (Ort, Anzahl der Teilnehmer, Anreise), den Qualitätsansprüchen und dem Budget. Auf jeden Fall sollten Kunden, die über die Anwendung des RSI für ihre Veranstaltung nachdenken, sich im Vorfeld umfassend von ihren organisierenden DolmetscherInnen beraten lassen. Wir alle – Dolmetscher, Technikanbieter und Kunden – behalten die Entwicklungen im Auge und suchen laufend nach den besten Wegen, die neuen technischen Möglichkeiten mit gleichbleibendem Datenschutz und Arbeitsqualität zu vereinbaren. Vielen Dank an die Verbände für die informativen Workshops in diesem Bereich!

Magda Dziabala

Konferenzdolmetscherin für Polnisch, Deutsch und Englisch. Mit viel Wissensdurst, einem Hang zum Perfektionismus und einer Freude daran, sich an immer neuen Orten immer neuen fachlichen und sprachlichen Herausforderungen zu stellen.

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