Als Dolmetscher digital unterwegs

Als Dolmetscher digital unterwegs

 

Dolmetscher digital: auch Messen finden mittlerweile im virtuellen Raum statt.

Repräsentativ: Der Startbildschirm des virtuellen Digital Future Congress

Würde man versuchen, die Coronapandemie als Chance für Dolmetscher zu erkennen, würden zwei Punkte besonders hervorstechen: Der in den letzten Jahren ohnehin vorhandene Drang zur Innovation und Digitalisierung, den die Krise stark beschleunigt hat, und die schiere Vielzahl und Qualität an Fortbildungsmöglichkeiten, die in dieser Umbruchszeit angeboten werden. Jetzt ist die Zeit, die eigene berufliche Entwicklung als Dolmetscher digital voranzubringen, indem man sich auf das veränderte Arbeitsumfeld nach der Pandemie vorbereitet.

Die letzten Wochen waren bei mir dementsprechend sehr fortbildungsintensiv. Gerade die Zeit seit dem 22. Mai steht ganz im Zeichen der Digitalisierung. Die drei virtuellen Veranstaltungen, die ich seitdem besucht habe, möchte ich in diesem Post kurz darstellen:

  1. Tacheles: RSI auf dem deutschen Markt

Das war der Titel der von AIIC Deutschland organisierten Videokonferenz, an der ich am Freitag, 22. Mai, abends teilnahm. Ausgewiesene Experten: Andrew Constable und Klaus Ziegler, u.a. von der Task Force on Distance Interpreting der AIIC; und Dr. Anja Rütten, Rentabilitätsexpertin und erfolgreiche Fachbloggerin, beleuchteten jeweils einen anderen Aspekt des Themas RSI. Mit ihren detaillierten und praxisbezogenen Vorträgen, deren Spannweite von den besten Headsets für das Ferndolmetschen, über die Unterscheidung verschiedener Hubmodelle bis hin zum Vergleich diverser Preiskalkulationsmodelle für die veränderte Wirklichkeit reichte, bewiesen sie, dass zu diesem in der letzten Zeit so beliebten Thema eben noch nicht alles gesagt wurde und dass man immer noch mehr lernen kann.

Am Ende stellte sich der Präsident der AIIC, Uroš Peterc, unseren Fragen. Alles in allem eine sehr gelungene, knackig-informative Veranstaltung, für die wohl alle Anwesenden gerne ihren Freitagabend opferten!

  1. Technology for Interpreters

Gleich am Wochenende wartete die nächste Fortbildung. Der VKD hatte Maha El-Metwally, eine erfahrene Kollegin aus Großbritannien mit Kompetenzschwerpunkt Technologie, als Referentin für das Thema „Technology for Interpreters“ gewonnen. Was ursprünglich als eintägiges Präsenzseminar geplant war, wurde aufgrund von Corona als zwei halbtägige Webinare angeboten – vielleicht war dieses Format sogar geeigneter, um die Vielzahl an Informationen zum Thema Dolmetscher Digital verarbeiten. Maha fing bei den Basics zur Recherche und papierlosen Umgebungen an, ging dann schnell zu komplexeren Themen über, mit besonderen Schwerpunkten auf Glossarerstellung und Termextraktion. So lernten wir zum Beispiel, automatisiert einzelne Terme aus Paralleltexten unseren Glossaren hinzuzufügen – aber auch mit entsprechenden Tools das Netz zu crawlen, um einsprachige Ausgangsglossare in einem Bruchteil der Zeit zu erstellen, die wir dazu manuell benötigen würden.

Als Dolmetscher digitale Vorbereitungstools nutzen

Spaß mit einem digitalen Vorbereitungstool beim Erstellen eines Glossars zum Thema “Backen”

Für Kolleg*innen, die in der Kabine gerne mit dem Tablet arbeiten, gab es mehrere praktische Tipps zum Thema Bildschirmteilung und elektronische Annotation von Dokumenten. Am Ende blieb sogar Zeit, um noch schnell auf nützliche Gadgets wie ein Solarpanelrucksack für die vielbeschäftigte Dolmetscherin, die auf dem Weg von einem Einsatz zum nächsten schnell noch ihre Elektronik aufladen muss, einzugehen.

Der Referentin ist auch gelungen, woran viele scheitern: das Webinar interaktiv zu gestalten, mit mehreren Diskussionen und Arbeit in Kleingruppen. Es hat viel Spaß gemacht, bekannte Gesichter wiederzusehen, immer in verschiedenen Konstellationen Lösungen zu praktischen Fragen zu erarbeiten und die Perspektive der Kolleginnen kennenzulernen: als (einen der vielen) Impulse nehme ich von dem Workshop mit, mich auch mal mittels einer Mindmap in ein neues Themengebiet einzuarbeiten!

  1. Digital Future Congress virtuell

Von Dienstag, 26. Mai, bis Donnerstag, 28. Mai, hatte ich schließlich die Chance, auch das Netzwerken und die Kundenakquise in einem virtuellen Raum zu betreiben – und zwar im Rahmen des Digital Future Congress. Die Anbieter dieser Messe für Digitalisierung im Mittelstand, die normalerweise einige Male im Jahr an verschiedenen Standorten deutschlandweit stattfindet und die ich letztes Jahr noch physisch in Essen besuchen konnte, haben in der Corona-Krise den Worten Taten folgen lassen und das DFC rein in die digitale Ebene verlegt. Über 70 Aussteller präsentieren sich auf der Webseite der Messe mit ihren interaktiven Ständen, die man anklicken kann, um sich die Webseite, Produktpräsentation oder Broschüren anzeigen zu können (Auch der BDÜ ist mit Infomaterialien vertreten!). Vor der Messe war ich unsicher, ob sich das persönliche Netzwerken digital gut nachempfinden lässt, doch die Sorge blieb unbegründet. Die Messestände der einzelnen Anbieter sind nicht nur einfach schöne Avatare, sondern auch wirklich von Mitarbeiter*innen besetzt. Mit diesen kann man sich mittels Chatfunktion, die auch den Versand von Dokumenten ermöglicht, unterhalten. Obwohl am Anfang etwas ungewohnt und holprig, kommen so tatsächlich interessante Gespräche zustande, die vielleicht sogar noch ein bisschen zielgerichteter sind als im persönlichen Kontakt.

 

Digitale Weiterbildungen für Dolmetscher werden auf dem DFC angeboten.

Und so sieht es dann im Inneren des DFC aus. Reichlich Möglichkeiten, sich als Dolmetscher weiterzubilden!

Dazu kommt ein Angebot an Reden und Workshops, das mit einem „echten“ Digital Future Congress mithält. Ich habe mich für die Teilnahme an dem Workshop “Digitalisierung und Datenschutz in Zeiten der Pandemie ” entschieden, um mein DSGVO-Wissen auf dem neuesten Stand zu halten.

Auch, wenn mir das typische Drumherum einer Präsenzmesse: Anzug und Rollkoffer, Aufregung, Lärm, pfiffige Werbegeschenke und vor allem zufällige Gespräche, die sich oft als die besten erweisen, etwas gefehlt hat, wusste ich auch sehr zu schätzen, dass man sich nicht mehr zwischen einem hektischen Durchgang an einem Tag und dem Investieren mehrerer Tage entscheiden muss – ein virtueller Messebesuch passt auch häppchenweise zwischen andere Verpflichtungen hinein, und nach einigen Gesprächen oder einem intensiven Workshop kann man sich ins Home Office zurückziehen. So wird man weniger müde und kann sich mit voller Aufmerksamkeit den ausgewählten Programmpunkten widmen.

  1. Und was lernt man daraus?

Zusätzlich zu der Arbeit in RSI-Hubs, die schnell zur neuen Normalität wird, zeigen die Veranstaltungen der vergangenen Tage ziemlich eindrucksvoll, dass mittlerweile so gut wie alle Aspekte des Dolmetscherlebens virtuell stattfinden können. Es bedeutet nicht zwangsweise, dass sie es ab jetzt auch wirklich immer tun werden: Die Erfahrungen meiner Kunden sowie Berichte von Kolleg*innen zeigen, dass Präsenzveranstaltungen nach wie vor von vielen bevorzugt werden. Der direkte menschliche Kontakt hilft bei der Zusammenarbeit, erleichtert das Verständnis und macht das Netzwerken intuitiver. Aber die Tools der Digitalisierung können wir Dolmetscher*innen für uns nutzen, um unser Angebot zu diversifizieren, unseren Berufslltag abwechslungsreicher zu gestalten, und, wie immer am wichtigsten: Unser Kund*innen bestmöglich zu beraten.

Magda Dziabala

Konferenzdolmetscherin für Polnisch, Deutsch und Englisch. Mit viel Wissensdurst, einem Hang zum Perfektionismus und einer Freude daran, sich an immer neuen Orten immer neuen fachlichen und sprachlichen Herausforderungen zu stellen.

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