Dolmetschen für das Europäische Parlament

Dolmetschen für das Europäische Parlament

eine ortsfeste Dolmetschkabine im Europäischen Parlament

Was lange währt, wird endlich gut: Nachdem ich meine Akkreditierungsprüfung für die Institutionen der Europäischen Union im März 2020 knapp vor Beginn der ersten Lockdowns bestanden hatte, war zunächst klar, dass auf absehbare Zukunft keine Dolmetschaufträge vonseiten der EU kommen werden. Über ein Jahr später ging alles plötzlich ganz schnell – mit gerade einmal einer Woche Vorlaufzeit wurde ich im Juni für meinen ersten Dolmetscheinsatz für das Europäische Parlament in Straßburg angefragt.

Während der Pandemie eine Auslandsreise zu planen ist keine ganz triviale Aufgabe. Auch, wenn die Anreise nach Frankreich zum Zeitpunkt des Einsatzes einfacher war als beispielsweise nach Belgien, musste ich neben einem offenen und alle Vorgaben erfüllenden Hotel auch schnell einen PCR-Test buchen und Einreisebestimmungen und Ausgangssperren berücksichtigen. Eine ungewohnte Situation als Dolmetscherin, die vor Corona völlig selbstverständlich in ganz Europa unterwegs war. Gleichzeitig aber ein Grund zur großen Freude – ich fahre mitten im strahlenden Hochsommer nach Straßburg, um mich dort über vier Tage einer ganz neuen beruflichen Herausforderung zu stellen!

Vor Ort angekommen, hatte ich zunächst nicht viel Zeit, die Stadt zu genießen. Zuerst mussten Formalitäten erledigt, Abläufe verstanden und Wege zu Sitzungssälen in den weitläufigen, aber durch Corona größtenteils leeren Parlamentsgebäuden gefunden werden. Zum Glück konnte ich dabei auf eine große Unterstützung seitens der anderen Mitglieder der polnischen Kabine zählen. Diese haben mich sehr herzlich, geduldig und mit vielen guten Ratschlägen empfangen. Gleichzeitig war aber klar – das sind erfahrene Profis, die an sich selbst und ihre Kolleg*innen hohe Ansprüche stellen. Über die nächsten vier Tage sollte ich jeweils mit verschiedenen Kolleg*innen bei Sitzungen aus ganz verschiedenen Themengebieten zusammenarbeiten – eine große Änderung gegenüber der vertrauten Situation auf dem Privatmarkt.

Das Dolmetschen für das Europäische Parlament unterscheidet sich nicht nur in dieser Hinsicht vom Dolmetschen auf dem freien Markt. Der auffälligste Unterschied ist sicher die Tatsache, dass grundsätzlich in 3-er Teams gearbeitet wird – eine Lösung, die in der Privatwirtschaft deutlich seltener und vor allem bei überlangen Einsätzen genutzt wird. Dass zwei weitere Personen im Team sind, bedeutet aber nicht, dass man sich zwischen seinen Dolmetschbeiträgen jeweils eine Stunde lang entspannt zurücklehnen kann. Durch die große fachliche Dichte der besprochenen Themen und die Tatsache, dass hintereinander jeweils mehrere Redner mit teils streng vorgegebenen Redezeiten das Wort ergreifen, wechseln sich Dolmetscher*innen beim Europäischen Parlament teilweise schon nach 10-15 Minuten ab. Dazu kommt das strikte Muttersprachenprinzip – es wird, außerhalb von ganz klar definierten und im vorab festgelegten Relais-Situationen, ausschließlich in die Muttersprache und nach Möglichkeit auch direkt vom Originalton gedolmetscht. Das bedeutet, dass zum Teil sehr eng getaktete Wechsel notwendig sind, wenn beispielsweise eine Sitzung von einer/einem deutschen Muttersprachler*in geleitet wird, aber zwischendurch immer kurze spanische, italienische o.Ä. Beiträge erfolgen.

Die Kabinen in den Parlamentsgebäuden sind der Traum einer jeden Dolmetscherin – große, helle und gut belüftete ortsfeste Kabinen mit einem ungestörten Zugang sowie einem umfassenden Blick in den jeweiligen Tagungsraum. Coronabedingt arbeitete bei meinem Einsatz zwar jedes Teammitglied in einer separaten Kabine, es bestand aber die Möglichkeit, gleichzeitig einander und den Originalton zu hören. Techniker betreuen jeden Einsatz und stehen bei Problemen oder Rückfragen bereit – deren geduldige Bemühung, sich mit mir als einer der wenigen nicht-frankophonen Dolmetscher*innen vor Ort auf Englisch zu verständigen, haben mich in dem Entschluss bestärkt, mir vor weiteren Einsätzen für die EU immerhin ein Konversationsfranzösisch anzulernen.

Die Dolmetscherin vor einem der Gebäude des Europäischen Parlaments

Stolz und aufgeregt vor einem der Parlamentsgebäude

Auch die Art der Auftragsvorbereitung war für mich neu. Außer einem Allgemeinwissen über die Europäische Union, das vorausgesetzt und bereits in den Akkrediterungstests abgefragt wird, erfordert ein Dolmetscheinsatz für das Europäische Parlament sehr viel Detailwissen zu den einzelnen Arbeitsgremien des Parlaments und deren Arbeitsweisen, wie auch interne Terminologie. Vieles davon eignen sich Kolleg*innen, die regelmäßig für die Institutionen dolmetschen, im Laufe der Jahre an. So viel Zeit hatte ich natürlich nicht, sodass ich mich im Vorfeld des Einsatzes eine Woche lang über Hunderte Seiten an Unterlagen beugte. Die gute Nachricht lautet, dass die EU ihren Dolmetscher*innen die Vorbereitung wesentlich erleichtert.  Die Unterlagen sind nicht nur intern verfügbar, sondern werden zu einem nicht unerheblichen Teil auf öffentlichen EU-Seiten der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt – und zwar überwiegend mehrsprachig! Das ist ein Verdienst der Vertreter*innen unseres Schwesterberufes, der EU-Übersetzer*innen. Die benötigte Terminologie einfach direkt an der Quelle in allen relevanten Sprachen nachschlagen zu können, anstatt sie sich in teilweise mühevoller Recherche erschließen zu müssen, war eine sehr zufriedenstellende Erfahrung.

Die vier Tage in Straßburg gehören zu den Einsätzen, die mir immer in Erinnerung bleiben werden – eine neue berufliche Herausforderung, aufregende Themengebiete, ein anspruchsvolles Arbeitstempo in wechselnden, aber immer hochprofessionellen Teams. Dass jeder Besuch in der schönen Stadt Straßburg ein Genuss ist – gerade bei traumhaftem sommerlichem Wetter – trug zu dem positiven Eindruck nur bei. Es wird sicher eine Weile dauern, bis ich beim Dolmetschen für die Europäische Union die Routine meiner älteren und erfahreneren Kolleg*innen entwickele. Aber auf dieses Ziel hinauszuarbeiten, stelle ich mir schön und lohnenswert vor.

Magda Dziabala

Konferenzdolmetscherin für Polnisch, Deutsch und Englisch. Mit viel Wissensdurst, einem Hang zum Perfektionismus und einer Freude daran, sich an immer neuen Orten immer neuen fachlichen und sprachlichen Herausforderungen zu stellen.

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