Gehörlose in der Corona-Krise – Barrierefreiheit und Alltagsprobleme
Die Frankfurter Rundschau veröffentlichte heute ein Interwiew mit der Dozentin für Gebärdensprache Andrea Kaiser, das die Auswirkungen der Corona-Krise, genauer der Maskenpflicht, auf Gehörlose aufzeigt. Selbst für Hörende ist ein Gespräch mit jemanden, der eine Maske trägt, viel schwieriger und ungewohnter. Für Gehörlose, auch solche, die kaum auf Lippenlesen angewiesen sind, ist es fast eine Unmöglichkeit. Frau Kaiser erzählt, dass sie teilweise nict erkennen kann, ob eine Person sie gerade anspricht, wenn diese eine Maske trägt. Sie zeigt auch, welche Rollen Emotionen bei der Kommunikation spielen und wie schwer sich diese deuten lassen, wenn das Gesicht des Gegenübers halb verdeckt ist:
Ich war vor kurzem beim Arzt. Obwohl eine Gebärdensprachendolmetscherin dabei war, die Kommunikation also gesichert war, wusste ich gar nicht, wie die Stimmung war. Denn der Arzt trug eine Maske. Ich habe dann die Dolmetscherin gefragt, ob der Arzt eine freundliche Stimme hatte.
Ein etwas älterer Artikel aus der Süddeutschen Zeitung, zu Beginn der Kontakteinschränkungen veröffentlicht, feiert derweil Gebärdensprachdolmetscher*innen als “stille Helden”, deren in Zeiten der Pandemit endlich die lang verdiente Aufmerksamkeit zuteil wird. Dank ihnen können die ca. 80 000 Gehörlose in Deutschland nun endlich, wie es eigentlich schon mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 versprochen wurde, offizielle Verlautbarungen in den öffentlichen Medien in einer Simultanverdolmetschung sehen.
Was Außenstehende immer besonders beeindruckt, ist die Ausdrucksstärke von Gebärdensprachdolmetscher*innen, die zum besseren Verständnis nicht nur die offiziellen Gebärden, sondern auch Mimik und ad-hoc-Gesten einsetzen: wie die im SZ-Artikel zitierte niederländische Dolmetscherin Irma Sluis mit ihrer eindringlichen Geste für “nicht hamstern”. Frau Kaiser im FR-Interwiew rückt die Insiderperspektive in den Fokus: Die Gehörlosen schätzen zwar die zunehmende Verdometschung von Nachrichtensendungen, aus ihrer Sicht ist es aber nur die Spitze des Eisbergs:
Im Vergleich zu der Zeit vor der Corona-Krise ist es [die Verdolmetschung im Fernsehen] jetzt aber auch bei uns häufiger geworden. Wir haben protestiert und es hat sich etwas verändert – wenn auch noch nicht genug. Trotzdem sind die Dolmetscher manchmal nur klein eingeblendet, Gehörlose müssen oft extra auf bestimmte Programme im TV umschalten, beziehungsweise andere Medien nutzen, wo dann Gebärdensprachdolmetscher eingeblendet werden. Oder die Lichtverhältnisse stimmen nicht und die Kleidung des Dolmetschers bietet nur wenig Kontrast zum Hintergrund. Es ist noch lange nicht hundertprozentig, aber es sind erste Schritte da. Ich glaube, es ist im Bewusstsein der Menschen angekommen, dass wir Informationen zur gleichen Zeit bekommen wollen wie die Hörenden.